Ji-Hyun Bae
Buch-und Kunstkabinett Konrad Mönter, Meerbusch-Osterath
11.1.2013
Von Weltkugeln und Glückswürfeln - ein Besuch im Atelier von Ji-Hyun Bae
Vorne im Haus beschäftigt man sich mit der Aufmerksamkeit heischenden Fassade der Dinge, lehrt in einer Design-Schule, wie man sie lecker macht für das Begehren. Ich aber führe mein Fahrrad von der Geschäftigkeit der Straße weg auf den stillen Hof zum Atelier von Ji-Hyun Bae. Ich habe bei unserem ersten kurzen Kennenlernen in ihrer Wohnung nicht gut aufgepasst und suche nun vergeblich ihren Namen auf den Klingelschildern der Ateliers, die oben im Hinterhaus untergebracht sind. Nein, kein Atelier oben, erfüllt von Tageslicht, wo das Sehen wichtig ist. Unter die Erde muss ich, in den Keller, wo man gemeinhin Vergangenes lagert und für das Zukünftige Vorräte bereithält.
Auf den oberen Stufen des Kellerabganges steht freundlich lächelnd die koreanische Künstlerin, die es schon kennt, dass man sie nicht unter der Erde vermutet. Wir gehen die steile Treppe hinab, zwischen Wänden mit Spuren mehrfacher Veränderungen und grober Versuche, diese durch allerlei Putz, Spachtelmasse und Farbe zu tilgen. Ich passiere eine enge Öffnung mit einem hochgefahrenen Metallrollladen und stehe schließlich vor einer stählernen, schwergängigen, rostigen Tür mit vielen Übermalungen. Kurz fühle ich mich an die düsteren Arbeiten von Gregor Schneider erinnert, muss dann aber lächeln, als ich eintrete. Denn drinnen erwartet mich das Gegenteil. Es ist hell und warm hier, voller fragiler, empfindsam gefertigter Gebilde, die in ihrer Schlichtheit ohne jede Attitüde daherkommen, spielerische Leichtigkeit ausstrahlen und schnell vergessen lassen, wo wir uns befinden.
Ich bin umgeben von Arbeiten, die für unser Gespräch den Atelierraum bevölkern. Ohne materielle Schwere stehen sie auf Sockeln, lagern auf Tischen und hängen von der Decke, regen mit ihrer prägnanten Form unser Denken an. Der hellockerfarbene Ton von Nesselstoff, aus dem viele von ihnen gefertigt sind, ist mir schon von den Fotografien vertraut, die mir Ji-Hyun Bae bei unserem ersten Gespräch gezeigt hat. Wohltuend abstrakt oder neutral wirkt er hier, wie unbeschriebenes Papier, wie Kunstmaterial, nicht wie solches von oder für Kleidung. Und wie man auf Papier seine Gedanken mit einem Stift, einer Feder oder einem Pinsel flüchtig und skizzenhaft niederschreibt, so sind in den Nesselstoff mit einem Faden zeichnend Gedankenstickereien eingewoben, manchmal die ganze Welt.
Die Kunst von Ji-Hyun Bae ist eine gedankliche, metaphorische, bildnerisch begriffliche, hat also weniger mit Sehen zu tun, befasst sich vielmehr mit Wahrnehmen in einem vom Sehen unabhängigen Sinn. Und so stehen zwischen uns schon nach kurzem Gespräch keine detaillierten Umschreibungen bildnerischen Ausdrucks, sondern klare Begriffe im Raum, die für das deutsche Ohr ein wenig schwergewichtig empfunden werden können, in der Sprache der koreanischen Künstlerin aber eine selbstverständliche Leichtigkeit annehmen. WILLE gehört auf der einen Seite dazu, aber auch ZIEL, und HOFFNUNG. Diesem Komplex gegenüber stehen SCHICKSAL, ZUFALL und REALITÄT. Zwischen beiden Sphären, so schildert Ji-Hyun Bae ihre Lebenserfahrung, bewege sich das Leben. „Nicht alles ist erreichbar“, fügt sie hinzu. „Das muss man schon früh erfahren. Trotz allem Bemühens, auch wenn man mit großem Willen und Ausdauer ein Ziel verfolgt.“ Wer aber das Schicksal ignoriert, denke ich weiter, wer die Begrenztheit des eigenen Wollens und Könnens nicht zu akzeptieren vermag, der muss letztendlich scheitern.
„Nach dem Abschluss meines Studiums der Malerei in Seoul suchte ich nach neuen Anregungen und Herausforderungen, wollte mich künstlerisch weiterentwickeln“, fährt sie fort. „Ein asiatisches Land wie Japan oder China kam dafür nicht in Frage, denn asiatische Malereitradition war mir längst vertraut. Der amerikanische Einfluss in Seoul war so intensiv, dass es mich auch dahin nicht zog. Also musste es Europa sein, wobei mir Deutschland und dabei die Akademie in Düsseldorf am interessantesten erschien, denn ich kannte neueste deutsche Malerei durch Ausstellungen in Seoul. So kam ich 1989 hier an und konnte schon bald Schülerin von A. R. Penck werden. Leicht hat er es mir nicht gemacht, konfrontierte mich immer wieder mit seiner Auffassung, dass ich Erfahrungen mit anderen künstlerischen Disziplinen als der Malerei suchen sollte. Ich schob seinen Rat nicht von mir, dachte viel darüber nach. Was mich schließlich dazu brachte, mich mit Objekten zu beschäftigen. In einer Hinsicht mag er Recht gehabt haben: das Malen mit Ölfarbe habe ich selten gerne gemacht. Und Farbigkeit“, so fährt sie fort, „soll für mich auch eher zurückhaltend und gedämpft sein. Alles Schwere, Grobe und Dunkle ist mir fremd. Wässriges dagegen inspiriert mich, das zeichnende Malen mit Tuschen und Acrylfarbe.“
Im Weiteren sprechen wir über den Titel, den Ji-Hyun Bae der Ausstellung gegeben hat: „Spieglein, Spieglein …“. „Er bezieht sich“, erläutert sie mir, „auf eine Serie von Arbeiten, die von dem Märchen „Scheewittchen“ angeregt wurden und dem Thema SCHICKSAL nachspüren. Bei den Gebrüdern Grimm ist es die absolute Schönheit, die das Selbstbild der Königin bestimmt, das ihr bei der Betrachtung im Spiegel gegenübertritt. Für mich ist die Schönheit im Märchen eine Metapher für jegliche Ziele, die wir uns im Leben setzen, für das, was wir von uns und für uns im Leben erwarten. In der Selbstreflexion prüfen wir, welche Fähigkeiten wir zum Erreichen dieser Ziele benötigen und ob wir diese besitzen.“
Bei dem ersten Werk aus der Reihe „Spieglein, Spieglein …“, das wir betrachten, ruht eine Weltkugel mit einem rosa schimmernden Kern und mit Erdteilen aus weißer Acrylfarbe auf einer zusammengefalteten Decke. In einem übertragenen Sinn ist sie in dieser Form nicht nutzbar, erklärt mir die Künstlerin. Das sie verkörpernde Schicksal ist nicht zu ändern. Dass eine den menschlichen Willen symbolisierende Weltkugel auf der Decke ruht, mag daran denken lassen, wie sehr das Schicksal unsere Willensentscheidungen begrenzt.
Das zweite Werk mit dem Titel „Spieglein, Spieglein“ hängt von der Decke. Es ist ein schlichtes, ärmelloses, mädchenhaftes Nesselkleid. Wagt man von unten einen Blick ins Innere, also ins Intime des gebauschten Rockes, so entdeckt man an dessen konkav gewölbter Innenseite eine Weltkarte. Verblüffend intensiv finde ich diese Verbindung, dort, wo man das Privateste vermutet, die ganze Welt, etwas überaus Universales, zu finden. „Jeder Mensch hat eigene Träume, Ziele, Willenskräfte“, erläutert mir Ji-Hyun Bae ihre Idee. „Ahnen kann man sie als Gegenüber vielleicht. Manchmal glaubt man auch, von Handlungen auf sie schließen zu können. Und doch bleiben sie uns weitestgehend verborgen. Nur die Trägerin des Kleides kennt sie genau. Dies habe ich durch die Landkarte auf der Innenseite des Rockes bildlich formulieren wollen. Sehr bedeutend für mich ist auch der Spiegel, der auf dem Boden unter dem Rock liegt und uns einen Blick auf die Weltkarte erlaubt, womit wir Anteil nehmen an einer Art Selbstbefragung.“
Zwischen beiden Arbeiten, die „Schneewittchen“ thematisieren, hängt ein weiteres zweiteiliges Werk von der Decke. Links ein traditionelles koreanisches Reisegepäck, ein würfelförmiger Gegenstand, der in ein Tuch eingeschlagen und oben verknotet ist. Rechts daneben, in dialogischer Gegenüberstellung, eine Weltkugel. „Reise“ nennt Ji-Hyun Bae diese Arbeit. „Sich auf die Reise zu begeben, in die Welt hinauszuziehen, ist abenteuerlich“, sagt sie. „Man verlässt und verliert dabei das Vertraute, kann aber Neues hinzugewinnen und sein Leben bereichern.“
Bei der Betrachtung weiterer Arbeiten begegnen uns immer wieder Kleidungsstücke. „Klamotten“ – interessanter Weise benutzt Ji-Hyun Bae diesen umgangssprachlichen Begriff – sind für sie ein Symbol für das Leben. Ich denke, besonders für das Leben des Menschen als soziales Wesen. Sie unterstreichen und vermitteln sein Geschlecht, seine Einstellungen, seinen Stand, seinen Beruf, seine Tätigkeiten. Sie werben, sie informieren, sie fordern Respekt. Die Künstlerin erzählt, dass man in Korea bei jedem Kind auf der Straße anhand der von ihm getragenen Uniform sofort erkennen kann, in welche Schule es geht.
Von den weichen Arbeiten aus Stoff, die sich mit dem Motiv des Kleides befassen, wenden wir uns zwei würfelförmigen Hohlkörpern aus dünnem Sperrholz zu. Schon zu Beginn unseres Gespräches kamen wir auf die Macht des Zufalls zu sprechen, der selbst bei klügster Gewandtheit der Beteiligten den Verlauf von Spielen bestimmt und für die unerbittliche Seite des Schicksals steht, das sich ohne Anlass und Ziel dem menschlichen Willen in den Weg stellt, über Glück oder Pech entscheidet. Einer der Objekte ähnelt einem Spielwürfel, zeigt an seinen sechs Außenflächen die gewohnten Zahlenbilder aus kleinen kreisförmigen Öffnungen. In die Flächen des daneben stehenden Objekts dagegen sind eins bis sechs Silhouetten von Kleidungsstücken und Utensilien aus unterschiedlichen Lebenssituationen hineingeschnitten, von Arbeitskleidung, Anziehsachen fürs Eislaufen im Winter, Reisegarderobe mit Koffer usw.. Wo wir sind, wohin wir reisen, unterliegt auch dem Schicksal.
Zum Thema Spiel zeigt mir Ji-Hyun Bae noch eine weitere Arbeit, die sich an Domino-Steinen orientiert. In vergrößerter Form stehen drei mit Stoff bezogene und mit Punkten bemalte hölzerne Dominoformen nebeneinander. Jede Zahl von eins bis sechs ist einmal in der gesamten Anordnung verwendet, wobei die Summe der Punkte jedes Steines bei allen die Zahl sieben ergibt: eins und sechs, drei und vier, fünf und zwei. „Für mich ist dies ein Bild von Solidarität“, erklärt sie mir. „Denken Sie nur daran, wenn man sie hintereinander aufstellt und den ersten Stein umstößt, welch beeindruckende Kettenreaktion man auslöst: Wenn einer fällt, fallen alle!“
Am Ende betrachten wir noch eine Arbeit, bei der das Bett als Motiv im Zentrum steht. „Das Bett ist für mich ein wichtiges Bild“, erläutert Ji-Hyun Bae. „Es ist eine Metapher für den Schlaf, den Zugang von der Alltagsrealität mit ihren Bedingungen zu einer anderen Welt. Der Titel „Zwischen den Welten“ erscheint mir dies am besten zu beschreiben.“
Wir sprechen noch über dies und das, Kindererziehung, Protestantismus, sogar über künstlerischen Unterricht. Meine Stichworte füllen mehrere Seiten und reichen für eine kurzweilige Heimfahrt auf dem Fahrrad. Ich verabschiede mich und denke, dass ich genügend Stoff für anregende Gespräche mitnehme, die ich Ihnen im Folgenden wünsche. Für Ihre Aufmerksamkeit jedenfalls danke ich Ihnen herzlich und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend im Buch- und Kunstkabinett von Konrad Mönter.